Michael Sarbach
ist neuer Botschafter der Stadt Wil.
Jean Baldos Lebensmotto ist es, trotz Blindheit immer ein Ziel vor Augen zu haben. Ein grosses Ziel für ihn sind seine wechselnden
Reisedestinationen – und von denen erzählt er gerne. So auch am Forum 60+ in Eschlikon vor zwei Wochen (rechts oben).
Der Eschlikoner Jean Baldo lebt seit seiner Geburt ohne Augenlicht – aber nicht ohne Visionen. Der 49-Jährige bewegt sich selbstständig durchs Leben, arbeitet und bereist die Welt. Anstelle von Farben begleiten ihn dabei Klang und viel Humor.
Eschlikon Wenn Jean Baldo durch den Bahnhof Stadelhofen läuft, orientiert er sich nicht an Werbetafeln oder Uhren, sondern am Duft des Brezelstands. Was für viele Sehende beiläufig ist, ist für ihn ein Wegweiser – denn der 49-Jährige ist seit Geburt blind. In seinem 50. Lebensjahr blickt der Eschlikoner auf Abenteuer in der Mongolei, Kuba oder Afrika zurück und steht bereits vor der nächsten grossen Reise. Wenn er nicht unterwegs ist, arbeitet er im Restaurant Blinde Kuh in Zürich, bildet sich zum Coach weiter oder singt mit seiner Mutter im Chor. Die WN haben mit Baldo gesprochen – über das Leben ohne Fotoalben, das Reisen mit vier Sinnen und darüber, warum das Konzept «Berg» für ihn ein Rätsel bleibt.
Jean Baldo, welche Hilfsmittel unterstützen Sie im Alltag?
Ich wohne bei meinen Eltern in Eschlikon in einer Art WG – ich wäre aber durchaus imstande alleine zu leben. Mit dem Blindenstock bewege ich mich sicher, auch ohne Hund. Mein iPhone ist in meinem Alltag zentral – es liest mir Texte vor und beschreibt sogar Bilder. Die App «Be My Eyes» ist genial: Ich mache ein Foto und bekomme live Feedback von Sehenden – etwa, ob meine Kleider zusammenpassen. Auch mein PC, mein Tonbandgerät und meine Familie und Freunde gehören zu den wichtigsten Unterstützern in meinem Alltag.
Wie stellen Sie sich Dinge wie Tiere oder Gesichter vor?
Ich bin frühgeboren, durch eine Netzhautschädigung war ich von Anfang an blind. Ich habe zum Beispiel nie eine Kuh gesehen – durfte mal als Kind eine streicheln, aber das ersetzt keine Vorstellung. Ich habe aber gelernt, dass zum Beispiel eine Spinne eher «grusig» ist, während ein Katzenbaby süss ist. Wenn ich sehen könnte, wären die Gesichter meiner Familienangehörigen aber das Erste, was ich gerne sehen wollen würde.
Wie sieht es mit Farben oder Landschaften aus?
Auch Farben sind für mich ein gelerntes und kein erlebtes Konzept. Besonders unvorstellbar finde ich Berge. Dass jemand etwas sehen kann, das Hunderte Kilometer entfernt ist – das übersteigt mein Vorstellungsvermögen. Aber ich liebe es, wenn Menschen mir Szenerien beschreiben, auch wenn ich sie nicht «sehen» kann.
Glauben Sie, dafür sind andere Sinne bei Ihnen besser?
Sie sind nicht unbedingt besser, aber intensiver. Mein Gehör, mein Geruchssinn, auch der Tastsinn – die sind gut geschult. Es ist aber ein Irrglaube, dass alle Blinden super hören können – Hörprobleme gibt es auch da.
Wie haben Sie sich mit Ihrer Sehbeeinträchtigung arrangiert?
Ich lache sehr gerne und liebe den typisch britischen Sarkasmus – und ich mag es, wenn man sich gegenseitig auch mal hochnehmen kann. In meiner Familie und im Freundeskreis machen wir viele Spässe, auch über meine Blindheit. Wenn jemand zu mir sagt: «Schau doch mal genauer» – dann kontere ich mit: «Ja, das hab ich übersehen.» Oder ich frage sie dann scherzhaft, ob sie bei mir im Auto mitfahren wollen. Als Jugendlicher durfte ich mal ganz kurz Auto fahren – das war ein Highlight. In meinen Träumen fahre ich auch heute noch gerne Auto.
Was würden Sie beruflich gerne machen, wenn alles möglich wäre?
Ich wäre Lokführer oder Pilot geworden – Maschinen und Bewegung, das fasziniert mich. Aktuell arbeite ich aber in einem 80-Prozent-Pensum im Restaurant Blinde Kuh in Zürich, habe eine Weiterbildung als Erwachsenenbildner gemacht und bilde mich weiter zum Coach. Ich bin belastbar und möchte auch meinen Teil zur Arbeitswelt beitragen, doch der Arbeitsmarkt für Blinde ist schwierig und man begegnet vielen Vorurteilen wie: «Die Einarbeitung ist zu teuer oder zu aufwendig» – und das, obwohl die IV vieles davon übernehmen würde. Da wünsche ich mir von Arbeitgebern mehr Vorstellungskraft, was Blinde alles leisten können. Wenn jemand denkt, ich kann oder schaffe etwas nicht, dem beweise ich gerne das Gegenteil.
Sie sind gerne und oft auf Reisen. Welchen Herausforderungen begegnen Sie dort?
Ich reise meist mit meiner Mutter oder einer Reisegruppe. Es braucht Vorbereitung – denn vor Ort bin ich meistens auf Guides und Fahrer angewiesen. Auch ist Barrierefreiheit in vielen Ländern noch ein Fremdwort. In Tansania beispielsweise wussten die Menschen zwar, was Blindenhilfsmittel sind, aber sie sagten offen: «Das gibt’s bei uns nur in Südafrika.» Doch diese Ehrlichkeit schätze ich. Ich versuche immer, mit den Einheimischen in Kontakt zu kommen – das erweitert beidseitig den Horizont.
Wie bewahren Sie Ihre Reiseerinnerungen auf – ohne Fotoalbum?
Ich mache Tonaufnahmen. In der Mongolei etwa habe ich traditionelle Musik aufgenommen oder in Tansania Löwen gehört, wie sie spielten, oder einen Elefanten, der trompetete. Diese Geräusche höre ich mir später an, und das versetzt mich mental zurück auf meine Reise – das ist mein persönliches Album.
Was steht für Sie als Nächstes an?
Eine Zugreise entlang der Seidenstrasse mit meiner Mutter. Darüber werden wir bestimmt eine Podcast-Folge machen, in der wir unsere Eindrücke gegenüberstellen. Und im Chor proben wir für den nächsten Auftritt – davon möchte ich dann auch gerne eine Tonaufnahme machen, um sie mir später wieder anzuhören.
jms
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