Claudia Veit
hat in ihrem Monster-Wettbewerb eine Gewinnerin erkoren.
Ende Dezember wurden von der Dienststelle für Statistik des Kantons Thurgau die Finanzkennzahlen der politischen Gemeinden für das Jahr 2023 publiziert. In tiefroten Tönen sticht nur eine Gemeinde hervor – Tobel-Tägerschen. Gemeindepräsident Rolf Hubmann weiss, wo das Loch in der Kasse herrührt
Tobel-Tägerschen Die finanzielle Lage der Thurgauer Gemeinden hat sich 2023 im Vergleich zum Vorjahr verschlechtert. Das zumindest zeigt eine Gegenüberstellung verschiedener Finanzkennzahlen und deren Richtwerte (siehe Infobox). Einen Überblick über die Situation in den einzelnen Gemeinden liefert die Grafik der Finanzverwaltung des Kantons Thurgau (Bild). Beim Betrachten der Grafik fällt auf, dass die Gemeinde Tobel-Tägerschen 2023 mit fünf verpassten Richtwerten als einzige im tiefroten Bereich liegt. Im Interview gewährt Gemeindepräsident Rolf Hubmann Einblick in die Finanzsituation von Tobel-Tägerschen.
Rolf Hubmann, Sie sind seit dem 1. Juli 2024 Gemeindepräsident von Tobel-Tägerschen. 2023 waren Sie somit noch nicht im Amt. Haben Sie dennoch eine Idee, woher das Loch in der Kasse der Gemeinde stammt?
Ja, ich wusste um die Finanzlage und war mir bewusst, was auf mich zukommen würde. Schon vor meiner Wahl hatte ich durch die Tätigkeit in der Rechnungsprüfungskommission Einblick in die Finanzen der Gemeinde. Die Lage ist vor allem durch grosse Investitionen belastet: Wir haben vor einigen Jahren ein neues Schulhaus und ein Wasserreservoir gebaut – wichtige Projekte für die Infrastruktur, aber sie waren teuer. Ausserdem genehmigten die Stimmbürger 2019 den Kauf der 27’000 Quadratmeter grossen Parzelle «Postacker» für knapp sechs Millionen Franken, obwohl die Gemeinde bereits verschuldet war.
Die Gemeinde war vor diesem Landkauf bereits verschuldet, dennoch stimmte die Bevölkerung dem Kauf zu. Warum?
Der Kauf war sinnvoll, da die Gemeinde so die Kontrolle über das zentrale Areal behalten konnte. Man wollte verhindern, dass ein Investor das Gelände übernimmt und ohne Rücksicht auf örtliche Gegebenheiten bebaut. Zudem rechnete man schon damals damit, mit dem Verkauf des Postackers drei Millionen Gewinn zu machen. Für die Gemeinde ist es jetzt ein Vorteil, dass sich meine Vorgänger mit dem Verkauf nicht beeilt haben. Denn mittlerweile stieg der Landpreis an und wir können sogar mit einem Plus von gegen vier Millionen rechnen. Aber jetzt wird nicht weiter gezögert – der Verkauf des Postackers hat oberste Priorität und soll noch dieses Jahr erfolgen.
Kann die Gemeinde mit diesem Gewinn aus den Schulden kommen oder stehen bereits neue Projekte an, die Kosten verursachen?
Mit dem Verkauf des Postackers sind wir noch nicht schuldenfrei, aber auf einem guten Weg. Langfristig werden auf dem Postacker etappenweise neue Mehrfamilienhäuser entstehen, was nicht nur Wohnraum schafft, sondern auch zusätzliche Steuereinnahmen generiert. Neben dem Landverkauf hat die Gemeinde kürzlich eine Steuererhöhung von fünf Prozent beschlossen, was unsere finanzielle Situation weiter stabilisieren wird. Gleichzeitig stehen aber bereits neue Ausgaben an, etwa für den Ausbau der Infrastruktur der technischen Werke, mittelfristige Schulraumerweiterungen und die Prüfung für ein verbessertes Angebot an Tagesstruktur.
Tobel-Tägerschen ist eine Einheitsgemeinde. Was bedeutet das für die kantonalen Finanzstatistiken?
Als Einheitsgemeinde werden in Tobel-Tägerschen die Schulden von Einrichtungen wie Schule oder Wasserwerk direkt in der Gemeindestatistik aufgeführt, während diese in anderen Gemeinden als eigenständige Betriebe geführt werden und so nicht in der kantonalen Finanzstatistik erscheinen. Die Zahlen sehen dadurch «schlimmer» aus, als sie tatsächlich sind. Wir arbeiten nach dem kantonalen Rechnungslegungsmodell HRM2, welches die Gemeinden vergleichbar machen soll – aber die Realität zeigt, dass die einzelnen Gemeinden unterschiedlich strukturiert sind.
Bei Ihrem Amtsantritt war eines Ihrer Ziele, das Vertrauen der Stimmbürger in den Gemeinderat zurückzugewinnen. Wie ist Ihnen das bisher gelungen?
Die Gemeinde informierte die Bevölkerung früher nicht ausreichend, was Frust verursachte – das konnte ich gut nachvollziehen. Deswegen haben wir seit meinem Amtsantritt mit einem rundum erneuerten Gemeinderat an einer transparenten Kommunikation gearbeitet. Bereits im Oktober informierten wir die Einwohner aktiv über den Stand des Projekts Postacker und empfahlen den Verkauf. Eine weitere Bewährungsprobe war die Gemeindeversammlung im Dezember, bei der wir umfassend über die finanzielle Lage informierten – auch diese haben wir erfolgreich gemeistert. Als gebürtiger Tägerscher und langjähriges Mitglied der Musikgesellschaft und der Jungwacht kenne ich viele Einwohner persönlich. Dieser enge Kontakt zeigt mir, dass das gegenseitige Vertrauen da ist und sehr geschätzt wird.
Wie wollen Sie sicherstellen, dass Tobel-Tägerschen langfristig finanziell stabil bleibt?
Langfristig setzen wir auf eine Mischung aus nachhaltigem Wachstum und solider Haushaltsführung. Der Verkauf des Postackers wird an das erarbeitete Richtprojekt geknüpft, welches sicherstellt, dass Wohnraum nur etappenweise entsteht, damit die Infrastruktur, wie die Schule, mit dem Wachstum mithalten kann. Zudem werden vor dem Verkauf diverse Risiken eliminiert, damit es später nicht zu unerwarteten Kosten für die Gemeinde kommt. Ausserdem bedeuten mehr Einwohner langfristig auch höhere Steuereinnahmen. Für kommende Projekte, streben wir Lösungen an, die sowohl den Bedarf decken als auch finanzierbar bleiben. Die Transparenz in der Kommunikation und die Einbindung der Einwohner sind dabei zentral. Letztlich geht es darum, die Erkenntnisse aus der Vergangenheit zu nutzen, um die Zukunft erfolgreich zu gestalten.
jms
25 der 80 Thurgauer Gemeinden hielten bei allen Finanzkennzahlen die Richtwerte ein, bewegten sich also überall in einem problemlosen oder sogar guten Bereich. 22 Gemeinden verpassten den mittleren oder guten Bereich bei einer Kennzahl. 33 Gemeinden, zehn mehr als im Vorjahr, lagen bei mindestens zwei Kennzahlen in einem Bereich, der nicht mehr als gut oder problemlos gilt. Zu den Richtwerten zählt beispielsweise der Selbstfinanzierungsgrad. Dieser sank seit 2019 erstmals wieder unter 100 Prozent. Das heisst, im Jahr 2023 konnten die Thurgauer Gemeinden im Schnitt ihre Investitionen nicht vollumfänglich durch selbst erwirtschaftete Mittel finanzieren. Auch das Nettovermögen pro Einwohner ging spürbar zurück. Gemäss Einschätzung der Dienststelle für Statistik des Kantons Thurgau ist die Finanzlage der politischen Gemeinden – trotz einer leichten Verschlechterung zum Vorjahr – weiterhin solide. Obwohl weniger Gemeinden alle oder fast alle Richtwerte einhielten, haben sie nach wie vor ein komfortables Eigenkapitalpolster und sind kaum verschuldet.
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